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Traktat über die Dualität des Cambions

(Geschrieben von XXXX, im Jahre XXXX)

I. Über die Natur des Cambions

Es ist eine weit verbreitete Irrlehre, den Cambion als Träger eines Dämons zu betrachten – als ein Wesen, welches das Unreine in sich gebiert, ohne selbst unrein zu sein.
Doch diese Sicht ist bequem, und wie alle Bequemlichkeit führt sie fort von der Wahrheit.

Ein Cambion trägt keinen Dämon in sich.
Er ist der Dämon – oder vielmehr: Das Ergebnis eines Vertrages, den niemand je bewusst geschlossen hat.
Nicht mit Worten, sondern mit Gefühl.

Wenn ein Dämon entsteht, ist er reine Emotion – ein Gedanke ohne Fleisch, ohne Form.
Doch Gefühle sehnen sich nach Form, so wie Flammen nach Luft.
Und was formbarer als die Seele eines ungeborenen Kindes?
Dort, in der warmen Dunkelheit, findet der Dämon ein Gefäß, das ihn nicht abstößt, sondern ihn unbewusst begreift.
Aus diesem Begreifen wird eine unauslöschliche Verbindung.

So ist der Cambion keine Fusion zweier Wesenheiten, sondern ein einziges, paradoxes Selbst:
Ein Geschöpf, das zugleich zum Beispiel Mensch oder Elf genug ist, um zu leiden, zu hoffen und die Welt zu begreifen
aber dämonisch genug, um vollkommen Andersartig zu sein.


II. Vom Flüstern der zweiten Stimme

Jeder Cambion hört sie:
Die Stimme, die kein Ton ist.
Sie spricht nicht durch Worte, sondern durch Wärme im Blut, Druck im Herz, Zittern der Hände.
Die Priester und die Unwissenden nennen sie Versuchung oder Verderben,
die Gelehrten nennen sie Resonanz.

Denn der Dämon im Cambion ist kein Gefangener – er schläft, träumt, erinnert.
In seinen Träumen fließt die rohe Macht der Emotion aus der er einst entstand.
Und manchmal, wenn der Cambion wankt,
wacht dieses Traumwesen auf,
und flüstert:

„Ich bin du. Ich war schon hier, bevor du deinen Namen kanntest.“

Die meisten nennen diesen Zustand Besessenheit.
Ich nenne ihn: Wahrheit.


III. Über den Schmerz der Einheit

Es gibt seltene Berichte über Cambions, die bewusst die Verbindung zu ihrer inneren Essenz suchten.
Manche nannten es das Erwachen.
Ich durfte Zeuge eines solchen Erwachens werden – nur einmal, und ich wünschte, es wäre mir nie vergönnt gewesen.

Der Körper zerspaltete sich nicht,
die Stimme brach nicht,
doch etwas im Raum veränderte sich:
Licht bog sich, Geräusche wurden fern,
und die Luft schmeckte nach Blut und etwas Unaussprechlichem.

Der Cambion sprach mit einer Stimme,
in der zwei Rhythmen schlugen –
ein Herz aus Fleisch,
und eines aus Feuer.

Er sagte nur:

„Ich bin endlich ganz.“

Sein Körper jedoch war unversehrt.
Doch in seinen Augen lag das Glühen einer Sonne, die niemand sehen darf.


IV. Über das Paradox des Selbst

Wenn der Cambion und der Dämon eins sind, stellt sich die Frage:
Was bleibt dann vom Ich?

Ich glaube: Nichts geht verloren.
Der Mensch oder Elf in ihm ist die Form, die der Dämon trägt, um die Welt zu verstehen.
Und der Dämon ist die Sehnsucht nach Reinheit, nach einem Gefühl ohne jegliche Grenze.
Beide sind lediglich zwei Seiten ein uns derselben Münze.

Vielleicht,
wenn ein Cambion stirbt,
endet diese Trennung, die eigentlich gar nicht besteht.
Vielleicht hört er dann auf, zwei zu sein.
Oder vielleicht beginnt er dann, das zu werden,
was wir alle sind,
wenn wir aufhören, uns zu belügen:
Das Echo einer Emotion, die die Welt träumt.


V. Nachwort

Wenn man mich fragt, ob man einen Cambion retten kann, sage ich:
Nein, denn die Frage an sich ist schon nicht richtig.

Denn nichts, was wahrhaft eins ist, will oder kann gerettet werden.
Es will verstanden werden.

Und das, fürchte ich,
ist die tiefste Ketzerei von allen.

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Randbemerkungen:

Über die Frage des Zweiten Blicks

Dieser Text nennt den Cambion „kein Träger, sondern Ergebnis eines Vertrages“.
Ich halte dies für im Kern richtig, doch für alle Interessierten sei gesagt:
Ein Cambion erlebt sich sehr wohl als zwei Wesen.
Das ist sein täglicher Kampf.

Man stelle sich vor:
Ein Teil von dir hasst, liebt, fürchtet – und du weißt, dass dieser Teil nicht du bist,
doch ohne ihn wärst du unvollständig.
So lebt ein Cambion.
Nicht besessen, sondern durchdrungen.
Nicht geteilt, sondern gespiegelt.

In Momenten der Ruhe kann er die andere Stimme hören – nicht als Worte, sondern als Stimmung.
Ein Zucken, ein fremder Gedanke, ein Flüstern im Herzen.
Er weiß, was der Dämon will, was er begehrt, denn der Dämon ist ein unauslöschlicher Teil von ihm.
Und manchmal weiß er nicht einmal, ob vielleicht sogar der Wunsch, sich dagegen aufzulehnen, wirklich von ihm selbst stammt.


Über die Kontrolle

Viele glauben, ein Cambion könne jederzeit von seinem Dämon übermannt werden.
Das ist nur die halbe Wahrheit.
Die Resonanz, die wir kennen, ist kein Grad der Schwäche, sondern ein Grad der Nähe.
Ein starke Resonanz bedeutet: Die Grenze zwischen Ich und Innerem löst sich auf.
Das kann Schrecken oder Erleuchtung bedeuten.

Manch ein Cambion beschreibt diesen Zustand wie einen Strom, der sie trägt.
Sie können dann Dinge vollbringen, die kein Mensch wagen würde.
Doch sie laufen Gefahr, sich im Strom zu verlieren –
nicht, weil der Dämon sie verschlingt,
sondern weil sie vergessen, dass sie jemals getrennt waren.


Über das Wesen des Dämons

Gelehrte sollten verstehen:
Der Dämon ist keine eigenständige Person mit Absichten oder Zielen.
Er ist eine lebendige Emotion, ein Gedächtnis aus purer Empfindung.
Er kann durch den Cambion denken, sprechen, handeln –
doch nur in dem Maße, in dem der Cambion selbst ihn zulässt.
In gewisser Weise ist der Dämon das,
was der Cambion wäre, wenn er keine Zweifel hätte.

Ein Cambion des Hasses spürt Wut wie ein Puls in seinen Knochen –
aber er wird nicht blind vor Zorn.
Im Gegenteil: Er versteht Zorn besser als jeder andere.
Ein Cambion der Angst kennt Furcht nicht als Schwäche,
sondern als Sinn, der Gefahren wittert, ehe sie geschehen.
So trägt jedes Gefühl seinen Schatten – und seinen Nutzen.


Über die Sicht auf die Welt

Der Text sagt: „Der Dämon schläft und träumt.“
Ich möchte ergänzen:
Der Dämon träumt durch die Augen seines Wirts.
Die Welt erscheint Cambions oft verschoben
leuchtender, tiefer, manchmal grausamer.
Ein Cambion des Ekels sieht Fäulnis, wo andere Schönheit sehen.
Ein Cambion der Neugier erkennt Muster, die sonst verborgen bleiben.
Dies ist kein Wahn, sondern eine zweite Wirklichkeit,
in der die Emotion selbst die Linse ist, durch die alles betrachtet wird.


Über das Ziel des Cambions

Dieser Text fürchtet die Einheit – ich glaube, sie ist unvermeidlich.
Ein Cambion, der sich selbst leugnet, verliert.
Einer, der sich selbst versteht, wird gefährlich.

Darum sind Cambions selten Helden im klassischen Sinn.
Sie kämpfen nicht nur gegen Feinde, sondern gegen sich selbst.
Doch gerade das macht sie faszinierend.
Denn sie zeigen uns,
dass jede Emotion – sei sie noch so dunkel –
auch ein Weg sein kann, die Welt zu erkennen.


~ Für Spieler und Spielleiter ~

Ein Cambion ist nicht böse – aber er ringt stets mit einer Seite, die es sein könnte.

Er erlebt die Welt emotional gefärbt: Seine Wahrnehmung spiegelt das Wesen seines Dämons.

Entsprechend sehnt sich auch die menschliche (oder elfische, orkische etc.) Seite des Cambions unbewusst, nach der Emotion, welche den Dämon erschaffen hat.

Seine dämonische Seite sehnt sich, nach eben dieser Emotion.

Der Cambion nimmt diese Emotion, quasi das Lebenselixier seiner dämonischen Seite, anders wahr als andere Wesen. So hat. z.B. Angst für einen Cambion mit dem Erbe der Angst nichts Bedrohliches.

Seine Kraft wächst mit der Resonanz – ebenso wie die Gefahr, sich selbst zu verlieren.

Wenn der Dämon „spricht“, so sind es Gedanken oder Gefühle, die sich fremd anfühlen.

Das Ziel eines Cambions ist nicht, seine dämonische Seite zu bezwingen,
sondern zu entscheiden, wer sie gemeinsam sind und wie man gemeinsam existieren kann.